Sinus pilonidalis
Die folgenden Erklärungen und Darlegungen sind mir ein besonderes Anliegen. Diese stellen meine Sichtweise und meine Erfahrungen zu dem Krankheitsbild Sinus pilonidalis dar, welches viel zu oft mit unnötiger Invasivität und großen Defektwunden behandelt wird.
Sinus pilonidalis, Pilonidalsinus, Steißbeinfistel, Steißbeinabszess, Steißbeinzyste, dies sind nur einige der gebräuchlichen Synonyme für ein und dieselbe Erkrankung.
Hierbei handelt es sich um eine eitrig-entzündliche Erkrankung der Haut und des Unterhautfettgewebes, die zumeist in der Gesäßfalte zur Ausbildung kommt. Der Krankheitsprozess wird durch abgebrochene Haare hervorgerufen, die sowohl aus der unmittelbaren Umgebung, aber auch vom Kopfhaar stammen können. Kommen abgebrochene Haaranteilen für längere Zeit in der Gesäßfalte zu liegen, dann werden diese von den v-förmig zueinander laufenden Wänden der Gesäßfalte, wie in einem Trichter, in die Tiefe geleitet. Am Grund der Gesäßfalte kann ein solches Haar in eine Hautpore einspießen. Bei der Betrachtung eines Haares unter dem Mikroskop erkennt man die wie Widerhaken abstehenden Haarschuppen. Diese bewirken, dass ein einmal eingedrungenes Haar in der Haut fest verankert ist. Durch das Aneinanderreiben der Gesäßhälften beim Laufen ist es nun möglich, dass das Haar wie ein Bohrer in die Tiefe getrieben wird. Da es dort nicht hingehört, wird es von unserer körpereigenen Abwehr als Fremdkörper behandelt, indem das Haar im Rahmen einer Entzündungsreaktion durch eine Gewebeschicht zur Umgebung abgegrenzt und eingekapselt wird. Dies geschieht auf der gesamten „Wanderstrecke“ des Haares, von der Hautoberfläche bis in die Tiefe des Unterhautfettgewebes, womit ein röhrenartiger Kanal zurückbleibt, welcher sich nicht mehr schließen kann. Diesen nennt man Primärporus. Er ist nun die Eintrittspforte für weitere Haare und Bakterien. Nicht selten finden sich ganze Haarbüschel in einem solchen Primärporus einspießend und in der Tiefe eingeschlossen.
Hieraus leitet sich auch die Krankheitsbezeichnung Sinus pilonidalis ab. Der Begriff setzt sich aus den lateinischen Wörtern sinus = Bucht, pilus = Haar und nidus = Nest zusammen.
Häufig finden sich mehrere solcher Eindringstellen (Primärpori), die in der Unterhaut durch Kanäle miteinander verbunden sein können.
Bereits die beschriebene Abgrenzungsreaktion des Körpers stellt eine Entzündungsreaktion dar. Zusätzlich kann diese durch bakterielle Infektionen intensiviert werden. Entzündung geht mit Schwellung einher. Drückt diese die Primärpori und somit den Ein-/Ausgang zur Oberfläche zu und verschließt sie, „kommt der Topf zum Überkochen“, um es bildlich zu beschreiben. Es entsteht ein Abszess (Querverweis). Die Infektion und der sich bildende Eiter greift auf die Umgebung über und sucht seinen Weg zur Oberfläche. Der Durchbruch erfolgt fast immer seitlich der Gesäßfalte, da in der Mittellinie die Hautpartien beider Gesäßhälfte aneinanderpressen und somit ein viel höherer Druck zum Durchbruch des Abszesses aufgebracht werden müsste. Die dabei entstehende Öffnung zur Ableitung des Eiters wird Sekundärporus genannt.
Die soeben beschriebene akute Form des Sinus pilonidalis mit Abszessausbildung geht zumeist mit ausgeprägten Symptomen einhergeht und bedarf einer dringlichen chirurgischen Behandlung (Querverweis Abszess).
Der chronische Sinus pilonidalis ist durch immer wiederkehrende moderate Schmerzen und Schwellungen sowie einer damit einhergehenden Entleerung von eitrig-blutigem Sekret gekennzeichnet. Wie schon bei der Analfistel (Querverweis) beschrieben, kann nur eine operative Therapie die dauerhafte Beseitigung erzielen.
Auch die symptomlose Form des Sinus pilonidalis gibt es, die als Zufallsbefund bei Untersuchungen der entsprechenden Körperregion auffällt. Waren beim Betroffenen noch nie Zeichen der Entzündung oder andere Symptome auffällig, dann benötigt diese Variante keine Behandlung oder allenfalls ein minimal-invasives Pit-Picking (Querverweis) in Lokalanästhesie, um einem Übergang in die chronische oder akute Form vorzubeugen.
Schon in den achtziger Jahren des vorherigen Jahrhunderts konnte der US-amerikanische Chirurg Bascom zeigen, für eine erfolgreichen Behandlung des Sinus pilonidalis ist es in erster Linie wichtig, dass die Primär- und Sekundärpori zuverlässig entfernt werden. Infolgedessen kann sich die Haut im Verlauf der Heilung wieder vollständig schließen und der Weg für den Eintritt von weiteren Haaren und Infekten ist somit beseitigt. Die in der Unterhaut befindlichen abgekapselten „Haarnester“ werden hierbei mit Hilfe kleinster Instrumente, wie Klemmen und Bürsten, ausgeräumt und gereinigt, anschließend gespült. Die kleinen Wunden werden nicht verschlossen und müssen im Weiteren vom Wundgrund bis zur Hautoberfläche abheilen (sekundäre Wundheilung). Dieser minimal-invasive, zumeist in lokaler Betäubung erfolgende Eingriff entspricht dem Pit-Picking. Warum sich diese schonende Operationsmethode nur langsam durchsetzt, mag vielleicht daran liegen, dass kleine Löcher ausschneiden und zupfen und säubern mit Klemmchen und Bürstchen sehr „unchirurgisch“ erscheint. Schließlich hieß es in Chirurgenkreisen lange Zeit „Kleine Chirurgen – kleine Schnitte, große Chirurgen – große Schnitte“, womit nicht die Körpergröße der Ausführenden gemeint ist.
Bis heute ist die wetzsteinförmige Ausschneidung des Haut- und Unterhautfettgewebes der betroffenen Region ein Standard in der Therapie des Sinus pilonidalis. Es soll sich somit eine breite, haarfreie Narbenplatte bilden, die keine Ausbildung eines erneuten Sinus pilonidalis zulässt. Doch die Folgen dieser Operationstechnik sind große, schmerzintensive Wunddefekte mit langer Heilungsdauer, aufwendiger Wundpflege, langer Arbeits- und Sportunfähigkeit und Wundheilungsstörungen. Letztere wird begünstigt, wenn während der langen Heilungsphase nicht regelmäßig nachwachsende Haare durch Rasur entfernt werden. Der Betroffene selbst ist nicht in der Lage, die Rasur durchzuführen. Die in die Wunde hineinragenden Haare verhindern die ungestörte Abheilung und stellen zugleich die Grundlage für ein Rezidiv dar, also einen erneuten Sinus pilonidalis. Ist die Wunde dann endlich verheilt beklagen die Betroffenen nicht selten ein unangenehmes Gefühl oder gar Schmerzen beim Sitzen auf der Narbenregion, denn dieser fehlt die Abpolsterung durch darunterliegendes Fettgewebe, welches sich normalerweise zwischen der Hautoberfläche und der schmerzempfindlichen Knochenhaut des Kreuz- und Steißbeines befindet.
Wie gehe ich vor?
Bei der akuten Form des Sinus pilonidalis muss dringend der Abszess eröffnet und der Eiter abgeleitet werden. Dieses gelingt nahezu immer schmerzlos bis schmerzarm unter einer intradermal, d.h. in die Haut über dem Abszess eingebrachten Lokalbetäubung. Über einen kleinen Schnitt wird der Abszess eröffnet und der Eiter abgeleitet. In der Folge gehen die Entzündung und damit die Schmerzen und die Schwellung schnell zurück. Erst ohne die Schwellung lassen sich die oft sehr kleinen Primärpori sicher erkennen. Wird ein Primärporus übersehen, dann ist der Sinus pilonidalis nur unvollständig entfernt und das Wiederkommen von Beschwerden sehr wahrscheinlich.
Wurde somit der ehemals akute Sinus pilonidals in einen chronischen Sinus pilonidalis überführt, erfolgt die entsprechende Weiterbehandlung.
Für den chronischen Sinus pilonidalis stehen minimal-invasive Eingriffe mit ausgezeichneten Abheilungsergebnissen zur Verfügung, die weitüberwiegend in Lokalanästhesie durchgeführt werden können. Am häufigsten greife ich auf das bereits beschriebene Pit-Picking zurück. Sind mehrere Primärpori nachweisbar, welche sich auf eine lange Strecke in der Gesäßfalte verteilen und über Fistelkanäle miteinander verbunden sind, kommt zusätzlich zum Pit-Picking das SiLaC Laser-Verfahren zur Anwendung, welches aus meiner Sicht ein schnelleres und zuverlässigeres Abheilen langer Fistelgänge ermöglicht. Für kräftig ausgebildete, kurzstreckige und von Haarbüschel ausgefüllte Befunde bietet sich die Sinusektomie an. Bei diesem minimal-invasiven Eingriff werden der Primärporus und der Sekundärporus jeweils sparsam ausgeschnitten und anschließend der Fistelgang, welcher beide verbindet, vollständig unter der Haut herauspräpariert bzw. herausgelöst.
Bei all diesen Verfahren werden die kleinen Wunden nicht verschlossen, sondern sie müssen vom Wundgrund zur Oberfläche heilen (sekundäre Wundheilung). Wieviel Zeit bis zur kompletten Abheilung vergeht, kann ich im Voraus niemals sicher sagen. Dabei kann es sich um wenige Wochen bis wenige Monate handeln. Sicher sagen kann ich, dass nur kurzzeitig eine mäßige Beeinträchtigung besteht. Fast ausnahmslos sind nach spätestens zwei Wochen die Wunden in einem Zustand, der alles wieder erlaubt, auch schwere Arbeiten und sportliche Belastungen. Unabdingbar für ein gutes Langzeitergebnis sind die einfachen und wenig aufwendigen Maßnahmen zur Wundpflege, die der Betroffene selbstständig durchführt und Nachkontrollen in meiner Sprechstunde, bis auch die letzte Wunde komplett geschlossen ist. Verbleibt die kleinste Wunde, wäre diese die ideale Eintrittspforte für Haare und einer erneuten Ausbildung des Sinus pilonidalis.
Für ausgesuchte kleine Befunde, bei denen man sich die offenen Wundheilung ersparen möchte und für ausgedehnte, sich über die gesamte Gesäßfalte erstreckende Befunde oder immer wiederkehrende Befunde empfiehlt sich die Durchführung einer radikalen Exzision mit primärer plastischer Rekonstruktion nach Karydakis oder durch eine Limberg-Lappenplastik.
Bei der meinerseits bevorzugten Karydakis-Plastik wird der Sinus pilonidalis in seiner gesamten Ausdehnung herausgeschnitten. Um sicher zu gehen, dass das erkrankte Gewebe vollständig erfasst wird, kann vor dem Operationsbeginn eine Anfärbung der Gangstrukturen erfolgen. Bei ausgedehnten Befunden verabreiche ich regelmäßig ein gezielt auf das vorher bestimmte Keimspektrum wirksames Antibiotikum, denn der zu entfernende Sinus pilonidalis ist in seinem Inneren mit massenhaft Bakterien besiedelt. Nach der vollständigen Entfernung des Sinus pilonidalis wird der große Defekt verschlossen, indem auf einer Seite ein dicker Haut- und Unterhautgewebelappen gebildet wird, welcher dann zur anderen Seite geschwenkt und in mehreren Nahtreihen Schicht für Schicht vernäht wird. Das Einnähen des Gewebelappens erfolgt bewusst asymetrisch und außerhalb der Mittellinie. Somit wird einerseits die Einheilung verbessert, den in der Mittellinie ist die Gewebedurchblutung nachweislich schlechter und es wird hierdurch die Tiefe der Gesäßfalte vermindert bis aufgehoben, was die beste Vorbeugung für eine Wiederausbildung des Sinus pilonidalis ist.